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Alt 05-07-2004, 12:08
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Juggernaut Mechaniker

 
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Teil 2 des 2.Berichtes:

England: ich sage danke, England! Ihr habt mir viel gegeben während dieser EM! Danke für das beste Spiel der EM überhaupt, das gegen Portugal. Danke auch für den Nachweis einer konzentrierten Vorbereitung, behauptete doch euer Torwart James neulich, Freistöße von Zidane wären im Vorfeld der Partie nicht auf Video studiert worden. Das macht sie selbstverständlich unhaltbar, selbst wenn sie dahin fliegen, wo zwei Sekunden zuvor der Torwart höchst selbst noch stand. Danke auch für die – zugegeben bittere – Erkenntnis, dass man in eurem Land schon mit 18 nicht nur ab und zu prima Fußball spielen, sondern selbst in diesen jungen Jahren schon völlig ohne Verstand durch die Weltgeschichte laufen kann. Wer den Guillotinierungs-Versuch des Herrn Rooney am lebenden Objekt mit Namen Stiel verfolgt hat, sowie das anschließende Meckern des Stürmers, als er dafür nur Gelb bekam, wird wissen, was ich meine. Der wird ja in der Heimat nicht umsonst bereits mit Gascoigne verglichen. Naja, immer besoffen ist auch ein geregeltes Leben. Und da solchen Gestalten sowieso immer alles verziehen wird, solange sie ab und zu etwas Rundes in etwas Eckiges befördern, bin ich sicher, wir werden noch viel von ihm hören. Ich persönlich war ganz froh, dass er weg war. Außer, wenn er noch gegen Herrn Cattuso hätte spielen müssen. Das wäre wirklich hoch interessant geworden.
Danke auch für die standfeste Überzeugung eurer Hooligans. Die sahen es wohl als Beleidigung an, dass Zehntausende Fans anderer Nationen friedlich feierten, und wollten das nicht auf sich sitzen lassen. Es bleibt die Erkenntnis, dass man den gemeinen Engländer weiterhin nicht in Rudeln auf den Kontinent loslassen sollte. Von der dortigen Presse mal ganz zu schweigen. Komisch, kein einziger englischer Spieler verlor auch nur ein Wort über das (zu Recht) nicht gegebene Tor von Campbell im Spiel gegen Portugal. Bis die Presse mal wieder los schlug, und sich Schiri Meyer seitdem vor ulkigen Morddrohungen per EMail und Telefon nicht mehr retten kann. Aber selbst wenn man diesen Wortverbrechern auch endlich mal schriftlich geben würde, dass sie kein Empire mehr haben, es würde nix nützen. Was die englische Boulevardpresse angeht, so bleibt nur die Gewissheit, dass dieses Ausscheiden in dem Moment vergessen ist, in dem Camilla Parker-Bowles in China über einen Sack Reis stolpert. Dann können diese Schmierfinken ihre Dreckkübel endlich wieder in gewohnten Gefilden ausleeren.

Holland: die haben sich selbst geschlagen! Mehr schlecht als recht durch das Turnier gestolpert, bis ihnen bzw. ihrer Presse vor dem Portugal-Spiel die Erleuchtung kam: „Jetzt sind wir die Deutschen", schrieben sie. Genau: Scheiße spielen und trotzdem weiter kommen, so war das früher mal bei uns, heutzutage Gottseidank nicht mehr. Und als Strafe für diese Lästerung stellte der Fußballgott dann auch bei den Holländern flugs den aktuellen Leistungsstand der deutschen Nationalmannschaft ein – schwupps, weg waren sie! Ja, es darf sich halt nicht jeder alles anmaßen.
Es gab übrigens gerade im Internet einige nette Diskussionen, woher denn diese gegenseitige Abneigung zwischen Deutschen und Holländern kommt. Eine Erklärung fand ich besonders putzig: das ziehe sich durch seit 1988, dem Sieg der Holländer im EM-Halbfinale gegen Deutschland in Hamburg, als sich Ronald Koeman nach dem Spiel mit dem Trikot des Herrn Thon demonstrativ den Hintern abgewischt habe. Seitdem sei das halt so.
Also ich fürchte, wenn man einen Holländer mal fragt, woher diese herzliche Abneigung kommt, wird der wohl ein paar andere Zahlen zur Hand haben. Ich glaube sogar, ein gewisses Zeitintervall zwischen 1940 und 1944 würde des öfteren genannt werden. Nur mal so zum Nachdenken. Und wenn wir schon bei 1988 sind, vielleicht das noch: es war mitnichten das Trikot von Olaf Thon, dass Herr Koeman demonstrativ zweckentfremdete (und was – hm, mal höflich gesagt, genauso eine Sauerei war wie die Spuckeinlage von Rijkaard gegen Völler zwei Jahre später), sondern das von Lothar Matthäus. Genau, jener Lothar Matthäus, der einst auf dem Oktoberfest einem Holländer mit den Worten „Dich haben sie wohl beim Adolf vergessen" die deutsche Gastfreundschaft nahe brachte. Also: keiner hat Schuld, alle sind Schweine, hüben wie drüben. Und dafür fand ich das Spiel in Porto doch erstaunlich fair und vor allem gut. Tja, und wenn die Holländer sich nicht mit uns verglichen hätten, wer weiß, wo sie jetzt stehen würden?

Tschechien: ein Alptraum! Die ganz klar beste Mannschaft des Turniers scheitert am ganz klar schwächsten Teilnehmer der K.o.-Spiele. Warum, dürfte ebenso klar sein: es war die Verletzung von Pavel Nedved, wie uns Herr Kerner bereits während des Spiels an die hundert Mal glaubhaft versicherte. Der Rest konnte anscheinend keinen Fußball spielen. Vier Siege in Folge – und alles nur wegen Nedved. Dann brauch ich die ja nicht mehr zu beachten, wenn der Pavel seine internationale Karriere mal beenden sollte. Nein, nein und nochmals nein: das war die Mannschaft, der ich den Titel am meisten gegönnt hätte. Kein Halten, kein Mauern, immer nach vorne, auch nach drei Rückständen in den ersten drei Spielen – Herr Trapattoni wäre ohnmächtig geworden, wenn seine Spieler solch einen Zirkus veranstaltet hätten. Das war beste Werbung für den Fußball! Folgerichtig mussten sie im Halbfinale ausscheiden, weil jedes Turnier seinen Meister der Herzen braucht.

Portugal: Figo liegt im Entmüdungsbecken und betet mit der Madonna von Fatima, Scolari hatte vor dem Turnier anscheinend einen Werbevertrag mit einer Firma unterschrieben, die brasilianische Flaggen herstellt, und Pauleta verballert derartige Großchancen, dass man schon fast Absicht wittern könnte – was wollten die eigentlich im Finale? Gefallen haben sie mir nicht besonders, außer im Spiel gegen England. Aber auch da brauchten sie eine Halbzeit, um auf Touren zu kommen – auch ein bisschen wenig für eine sogenannte Spitzenmannschaft. Und dann kassieren sie im Finale gegen Griechenland den Gegentreffer exakt auf dieselbe Art wie die Tschechen im Halbfinale. Da hatten wohl einige Herren mental schon vor der Spiel gefeiert...

Griechenland: neun kleine Maurermeister ziehen in jedem Spiel die Akropolis neu hoch, hinten lässt der Clooney-Schorsch jeden Ball prallen und kein gegnerischer Stürmer bringt es übers Herz, dem einen reinzumachen, weil dann die Ehefrau streiken könnte, vorne hilft Charisteas oder der liebe Gott. Eine Mannschaft und ein Trainer, die dermaßen voll in die augenblickliche Retro-Welle passen, dass es mich wundert, dass das noch niemandem aufgefallen ist. Man zahlt absurde Preise für „echt" alte Klamotten (ich persönlich habe zwanzig Jahre lang gar keine gekauft und freue mich, wieder „in" zu sein), irgendwelche One-Hit-Retorten-Bands können nur noch mit Cover-Versionen alter Hits glänzen, da passt es doch gut zum Zeitgeist, wenn Otto und seine Griechen mit „Steinzeit-Fußball" (nicht meine Worte!) Europameister werden. Da können sich die greisen Herren bei der UEFA heimlich auf die Schultern klopfen: endlich mal ein Turnier abgeliefert, das voll im Trend lag! Ich persönlich zweifle jedoch nach den Nachrichten aus Athen, als am Tag nach dem Halbfinale verkündet wurde, die Innenstadt sei noch immer durch Autokorsi verstopft, ernsthaft daran, dass bis zu den Olympischen Spielen dort in einigen Wochen sämtliche Sportstätten hergerichtet sind. Freuen wir uns also auf den Anblick griechischer Maurer, die andachtsvoll die Kelle sinken lassen, wenn es die weltbesten Weitspringer beim Versuch, olympisches Gold zu holen, demnächst nicht in ihre Sandkiste, sondern schwungvoll in die nächste Baugrube wirft. Obwohl: ob es in Athen jemand bemerken wird? Ich schätze mal, die werden dann immer noch feiern...

Deutschland all inclusive: ach je. Wie schon gesagt, sportlich konnte nicht viel erwartet werden. In schweren Zeiten ist man dankbar für alles. Das Kölner Boulevard-Blättchen Express, die kleine Schwester der großen vier Buchstaben hier im Rheinland, nutzte daher die Chance, als sie sich bot: nach dem 1:1 gegen Holland wurde ein Kommentar auf Seite 2 geschaltet, dass sich aufgrund des guten Spiels der Mannschaft eine „Aufwärts-Stimmung" im Land verbreiten würde. Nochmal: nach einem Unentschieden gegen Holland! Ein Land, das zudem viel kleiner ist als unser großes Deutschland, weshalb es nach BILD-Logik eigentlich sowieso chancenlos wäre, so wie Lettland zum Beispiel. Wie gesagt, in solchen Zeiten ist man dankbar für alles. Aber selbst der Boulevard konnte die deutsche Leistung nicht mehr schön reden.





*grml*
Wieso kann man nur 10.000 Zeichen pro Beitrag verwenden?! ^^
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