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Alt 08-08-2003, 16:00
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Ornold Schworzenegger als Amerikas Cherusker?

Zitat:
Kampf um Kalifornien

Wird die Nacht vom 6. auf den 7. August 2003 einmal als Datum in die Verfallsgeschichte des amerikanischen Imperiums eingehen? Die Nacht, da ein Schauspieler mit schwerem deutschen Akzent, aber ohne jede politische Erfahrung, seine Kandidatur für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien bekanntgab, dafür aber nicht etwa auf die Stufen des Kapitols in der Landeshauptstadt Sacramento trat, auch keine Pressekonferenz abhielt, sondern sich einfach aufs Sofa einer Fernsehtalkshow setzte, um ein paar Witze zu machen. War dies ein denkwürdiges Ereignis im Auflösungsprozeß der traditionellen Politikinszenierung? Die überfällige Enthüllung der totalen Verschmelzung von Politik und Unterhaltung? Das definitive Ende der Unterscheidung zwischen Alberei und Seriosität, ein Evolutionssprung in der Entwicklung der Fernsehdemokratie? Schwer zu sagen. Immerhin ließe sich mit einigem Recht dagegenhalten, Arnold Schwarzenegger habe lediglich getan, was auch alle anderen - nur eben weniger erfolgreich - versuchen: mit Hilfe der Medien die Massen zu erreichen. Guido landet im Container, George W. auf einem Flugzeugträger, der "Terminator" in der "Tonight"-Show und alle Fraktionsvorsitzenden sonntags traulich bei Sabine Christiansen. Warum sich da über Schwarzenegger erregen? Sollte der "Immigrant" aus Österreich die kalifornischen Regierungsgeschäfte auch nur halb so virtuos dirigieren können wie das erwartungsfrohe Geschnatter kurz vor der Verkündung seiner Entscheidung für eine Bewerbung, dann muß man sich um das Wohlergehen Kaliforniens fürderhin keine Sorgen machen. Viel beklemmender ist eine andere Ahnung, die den beschleicht, der die Ereignisse der vergangenen Tage bedenkt. Die Ahnung nämlich, daß auch die amerikanischen Medien, die so großen Wert auf ihre Seriosität und die Aggressivität ihrer Nachrichtensammlung legen, leichthin manipuliert werden könnten. Seit Tagen sind die Spekulationen über das Volksbegehren in Kalifornien Aufmacherstoff der Hauptnachrichtensendungen. Die großen Zeitungen und Fernsehsender haben Hundertschaften von Reportern auf den Weg nach Westen geschickt, um jedes Informationspartikelchen aufzustöbern. Und doch genügten offenbar ein paar absichtsvoll ausgestreute Nachrichtenkrumen, einige Bemerkungen aus Hintergrundzirkeln, um den Jägern und Sammlern weiszumachen, Schwarzenegger neige nicht zum politischen Amt. Seine Kandidatur schien abgehakt, erledigt, vergessen zu sein, ehe er sich überhaupt dazu geäußert hatte. Die Kolumnisten spekulierten bereits darüber, was aus dem Beraterteam des Terminators werden solle, sobald Schwarzenegger sich zurückzöge - um so größer die Überraschung nun, da der breitschultrige Aktionskünstler doch seine Teilnahme am Kampf um Kalifornien erklärte. Die Meute hatte fest damit gerechnet, Schwarzenegger werde sich den Zumutungen einer Kandidatur verweigern - so fest offenbar, daß niemand mehr nachgefragt hat. Wenn aber die Erfinder des investigativen Journalismus nicht einmal so etwas Nebensächliches wie Schwarzeneggers Kandidatenpläne aufstöbern können, was vermögen sie dann zur Aufklärung Amerikas über sich selbst beizutragen?

wfg

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.2003, Nr. 182 / Seite 31
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Also sowelche Politiker sollte man ihr Amt abnehmen!
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